Politskandale, ungelöste Mordfälle und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – das ist der Stoff, aus dem die meisten Journalistenfilme gemacht sind. Hauptsache investigativ. Aber was ist mit den Kollegen aus dem Kulturressort? Für die gibt es Almost Famous. Der im doppelten Sinne romantische Film ist eine Liebeserklärung an den Musikjournalismus. Ein Märchen, in dem jede Menge Weisheiten stecken. Hier sind fünf davon.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Columbia Pictures.
Teenager William Miller (Patrick Fugit) lebt den feuchten Traum eines angehenden Musikjournalisten. Gerade mal ein paar Zeilen für ein Underground-Magazine auf dem Kerbholz, darf der 15-Jährige die aufstrebende Band Stillwater auf Tour begleiten – im Auftrag des legendären Rolling Stone. Klingt märchenhaft, trägt aber einen autobiographischen Kern: Regisseur Cameron Crowe ließ in Almost Famous seine Erfahrungen als Nachwuchsjournalist einfließen. Als 16-Jähriger ging er 1973 mit den Allman Brothers auf Tuchfühlung – das Ergebnis war eine Titelstory im Rolling Stone. Die Originalgeschichte könnt ihr hier nachlesen.
Wer nun jede Menge Eskapaden und demolierte Hotelzimmer erwartet: Almost Famous ist „nur“ Sex, Drugs and Rock ‘n‘ Roll light. Die softe FSK 12- Variante eines feuchten Traums, sozusagen. Aber gerade diese Unschuld macht Almost Famous zu einem wahnsinnig sympathischen Film. Wer ihn noch nicht gesehen hat, sollte ihn nachholen. Für alle anderen gibt es fünf Learnings über den Musikjournalismus.

„Du kommst hier net rein!“ Für William Miller (Patrick Fugit) ist das Abenteuer Musikjournalismus beinahe schon an der Hintertür zu Ende.
Die Gästeliste hat ihre eigenen Gesetze
1. Ob Du auf der Gästeliste stehst, entscheidet sich an der Tür: Das erste Mal auf einer Gästeliste zu stehen, ist ein geiles Gefühl. Als hätte man soeben den Aufnahmeritus in einen mega-elitären Zirkel bestanden. Aber aufgepasst: Nur weil Dir irgendein Tour-Manager versichert, dass Du auf einer Gästeliste stehst, heißt nicht, dass es dein Name tatsächlich auf diese Liste schafft. Es ist wie bei einer Runde Stille Post – auf dem Weg geht einiges verloren. Dann kannst Du noch so pünktlich eintreffen, mit deinem Notizblock voller wohl überlegter und origineller Fragen, die Du angesichts des spärlich bemessenen Interview-Slots ohnehin nicht hättest stellen können. Der ominöse Tour-Manager ist nicht zu erreichen. Die bärtigen Roadies zucken mit ihren haarigen Achseln. Die Tür bleibt zu.
Da der Film zu diesem frühen Zeitpunkt –William Miller erhält vom legendären Rockjournalisten Lester Bangs (gespielt von Philip Seymour Hoffman) den Auftrag, backstage von einem Black Sabbath-Gig zu berichten – ja irgendwie weitergehen muss, hilft das Drehbuch nach: Während Du zähneknirschend an die Abendkasse schleichst, um das Konzert aus dem Zuschauerraum heraus zu verfolgen, findet Teenager William dank Groupie Penny Lane (Kate Hudson) doch noch Einlass.

„Ich kann Dir nicht viel bezahlen.“ Rock ’n‘ Roll-Reporterlegende Lester Bangs (Philip Seymour Hoffman) bereitet den Nachwuchs auf die harten Seiten des Musikjournalismus vor!
30 Dollar für ein Stelldichein mit Ozzy
2. Mit Musikjournalismus wirst Du nicht reich: Zumindest nicht in deinen Anfangstagen. Wobei … das ist ja in vielen Berufen so. Wenn aber Heerscharen von Nachwuchsschreibern mit derselben Hoffnung aufschlagen, Hobby und Beruf miteinander zu verbinden, dann gehen die Kurse in den Keller. Angebot und Nachfrage eben. Lester Bangs warnt William, er könne ihm nicht viel bezahlen – und lässt für den Black Sabbath-Bericht 30 Dollar springen. Immerhin. Für einen 15-Jährigen in den 1970er Jahren ist das ein gutes Zubrot.
In Realität dürfen sich Frischlinge gerne mal mit Rezensionsexemplaren zufrieden geben. Damit kannst Du deine Plattensammlung schmücken. Oder Du verscherbelst sie, so lange noch irgendjemand bereit ist, mehr als drei Euro fuffzig in einem großen Internetaktionshaus zu berappen. Wenn es überhaupt noch physische Rezensionsexemplare gibt. Im digitalen Zeitalter zu leben, heißt auch, digital bemustert zu werden. Dafür tust Du etwas, woran Du Spaß hast. Und wer weiß: Wenn Du gut bist, eine Nische und integre Auftraggeber findest, dann klappt es auch mit der anständigen Bezahlung im Musikjournalismus.

Smells like geek spirit: In der Redaktion des Rolling Stone kommt Mark Kozelek (Rainn Wilson) der Geifer. Klein-William am Telefon fabuliert fabulös über sein tiefes Stillwater-Porträt.
Über Umwege zum Puhdys Kern?
3. Mach dich bereit, es mit Schaumschlägern aufzunehmen – und sieh‘ zu, dass Du selber keiner wirst: Stell‘ Dir vor, der Rolling Stone ruft an. Dann bist Du als Nachwuchsjournalist natürlich eingeschüchtert. Dabei kochen alle nur mit Wasser. Lester Bangs empfiehlt William Miller, möglichst vage, aber bedeutungsschwanger daher zu parlieren. Die Redaktion hängt am Haken. Eigenmarketing ist eben alles. Daher: Trainier‘ dir ruhig einen verqueren Duktus an, der deinem ungemeinen Wissen über Musik in gewissen Situationen Nachdruck verleiht. Aber werde nicht zur Geisel deiner gestochenen Ausdrucksweise.
Vielleicht liegt es an einem publizistischen Minderwertigkeitskomplex, dass journalistische Texte über Musik oft bemüht sind, eine intellektuelle Fassade aufrecht zu erhalten. Nachrichten sind faktenbasiert. Melodien hingegen flüchtig, Sinneseindrücke schwer zu vergegenständlichen. Also wird aus der Not der Verlegenheit eine Tugend gemacht. Wieso auf den Punkt kommen, wenn man durch verkopfte Interpretationen und einschüchternde Satzkonstruktionen brillieren kann? Das Problem: Style over substance geht auf Dauer nicht gut.

Sex, Drugs and Rock ’n‘ Roll light. William Miller lebt die Softcore-Variante eines feuchten Traumes. Exzesse und Eskapaden sind in Almost Famous harmlos. Aber gerade diese Unschuld macht den Film so sympathisch.
Der Journalist, dein Freund und Feind
Lass‘ dich nicht von der Kumpanei im Business blenden: Die Warnung von Lester Bangs an William Miller ist unmissverständlich: Bleib‘ in deiner Kritik ehrlich und gnadenlos. Aufstrebende Musiker geben aufstrebenden Journalisten gerne das Gefühl, dazu zu gehören. Hier ein Plausch in lockerer Atmosphäre, dort ein Bierchen unter Freunden. Doch die Zwanglosigkeit ist nur vorgeschoben. Der Journalist hat seinen Job zu machen. So, dass es den Künstlern zum Vorteil gereicht, versteht sich. Stillwater lassen William Miller gewähren, weil sie hoffen, auf dem Cover des Rolling Stone zu landen. Alles ist cool, so lange die Backstage-Story am Ende dem gewünschten Image entspricht.
Einen Verriss nehmen die Musiker anfangs noch billigend in Kauf. Nach dem Motto: Auch schlechte PR ist gute PR. Was zählt, ist das Bandfoto auf der Titelseite. Als den Musikern jedoch schwarnt, dass Williams Bericht womöglich ein allzu chaotisches Bild zeichnen könnten, gehen sie auf Distanz. Allen voran Gitarrist Russell Hammond (Billy Crudup): Ausgerechnet der heimliche Frontmann, der William als eine Art großer Tour-Bruder unter seine Fittiche nimmt und ihn obendrein dazu ermutigt, nichts als die Wahrheit niederzuschreiben, begeht den größten Verrat. Als die Rolling Stone-Redaktion die Fakten in Williams Artikel gegencheckt, dementiert Hammond den gesamten Bericht.

Später Einsicht: Russell Hammond (Billy Crudup), Gitarrist von Stillwater, stellt fest, dass es mehr als nur Glanz und Gloria gibt. Nämlich aufrichtige und geradelinige Freundschaft.
Musikjournalismus: Fast berühmt ist auch ok
Egal, was passiert – bleib‘ ein Mensch: Ja, das Geschäft ist berechnend und gemein. William fällt nach dem Stillwater-Dementi aus allen Wolken. Aber das ist nicht die Punchline von Almost Famous. Schließlich gibt es die späte Einsicht und ein versöhnliches Happy End: Am Ende nimmt sich Russell Zeit für das Interview, das er während der Tour hätte führen sollen – wäre er nicht so sehr mit seinen eigenen Eitelkeiten beschäftigt gewesen.
Insofern muss man Lester Bangs Credo – bleib‘ in deiner Kritik ehrlich und gnadenlos – wieder ein Stück weit einkassieren. Ehrlichkeit währt zwar noch immer am längsten. Gnadenlos zu sein, heißt jedoch, sich nicht um die Folgen seiner Zeilen zu scheren. Über Musikgeschmack lässt sich trefflich streiten, sagt man. Dabei solltest Du nicht vergessen: Hinter jedem Song steht ein Mensch, der sein Innerstes nach außen kehrt. Kein Grund, den Prügel der Selbstgefälligkeit auszupacken: Es gibt wichtigeres als Glanz und Gloria. Fast berühmt ist auch ok.
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