Ron Burgundy ist eine doppelte Legende. Als Nachrichtensprecher sowieso, vor allem aber als Mann. Das Alphatier in einer reinen Männerdomäne. Doch Zeiten ändern sich. Nachrichtenmenschen lieben Veränderung. Aber nur solange die eigenen Arbeitsbedingungen unangetastet bleiben. Sonst geht’s ans Ego. Anchorman – Die Legende von Ron Burgundy nimmt die Eitelkeiten und Automatismen des Geschäfts humorvoll aufs Korn.
Von Patrick Torma. Bildmaterial: DreamWorks.
Journalistenfilme haben oft etwas Nostalgisches. Geht es doch darum, alte Tugenden zu beschwören, die im schnelllebigen, unlauteren Alltag abhanden gekommen sind. Oder darum, das wohlige Gefühl von damals zu wecken. Als die Festanstellungen noch sicher und die Arbeitsmethoden herrlich oldschool waren. Als der Beruf noch gesellschaftliche Anerkennung bedeutete. Bei meiner allerersten Pressereise als Jung-Journalist traf ich auf einen alten Hasen, der mich mit seinem Charme und seiner Erfahrung in den Bann zog. Während sich die anderen Mitfahrer frühzeitig auf ihre Zimmer verabschiedeten, lauschte ich bis spät in die Nacht seinen märchenhaft anmutenden Geschichten von der Leichtigkeit des Journalist-Seins. Als ich mich endlich schlafen legte, erwischte ich mich dabei, wie ich das Schicksal meiner späten Geburt bedauerte…
Anchorman ist eine Zeitreise in diese gute, alte Zeit. Die Geschichte setzt im San Diego der 1970er-Jahre ein. Ehrliche Journalisten wie Walter Cronkite haben den Nachrichtensprecher zu einer Institution aufgebaut, die Menschen glauben alles, was ihnen das Fernsehen vorsetzt. Für den selbstverliebten Ron Burgundy (Will Farrell) und dessen Crew von KVWN Channel 4 kann es nicht besser laufen: Dank ihrer Popularität genießen sie das süße Leben. Doch das Paradies bröckelt. Nach zwölf Jahren Nachrichteneinerlei ist Themenvielfalt gefragt. Einschaltquoten gewinnen an Gewicht und setzen die Beteiligten unter Druck. Und zu allem Überfluss kommt mit Veronica Corningstone (Christina Applegate) eine Frau mit Ambitionen in den Sender.

Können dise Augen Lügen? Ron Burgundy (Will Farrell) ist der Nachrichtenstar in San Diego. Alles könnte so schön sein…
Chauvinistisches Nachrichtenpack!
Anhand dieser kleinen Inhaltsangabe dürfte klar sein, worauf Anchorman hinaus will: So geil war die gute, alte Zeit eben doch nicht. Und wenn ich ehrlich bin, dann lassen sich viele der elysischen Geschichten, die ich am Tresen einer Hotelbar eines Schlosshotels aufsog, mehr oder minder valide unter den Schlagwörtern „Vorteilsnahme“ und „Alkoholexzess“ verorten. Früher war vielleicht mehr Punkrock. Über kurz oder lang ist auch die vollste Pulle wie eine Flasche leer – kein erstrebenswerter Zustand. Genauso wenig erstrebenswert ist die Senderpolitik in Anchorman. Wir reden immerhin von einem Klima, in dem Wasser-Ski fahrende Erdhörnchen, schwangere Pandabären und Katzen in niedlichen Kostümen den höchsten Nachrichtenwert genießen. Außerdem liegt da noch ein gesellschaftlich konventionalisiertes Übel in der Luft.
Will Farrell und Adam McKay, der spätere The Big Short-Regisseur, richten den Fokus auf die Frauenfeindlichkeit der damaligen Zeit. Für den chauvinistischen Nachrichtenstar Ron Burgundy – die Nähe zum Pornopapst Ron Jeremy ist unverkennbar – kommt die Co-Moderatorenschaft der Corningstone einem televisionären Sündenfall gleich. Mit Scherzanrufen und Sabotage-Akten versucht er, die Konkurrentin zur Aufgabe zu zwingen. Anchorman kokettiert mit diesem Sexismus, er ist die Basis für eine Vielzahl der Gags im Film. Allerdings sind diese Gags so geschrieben, dass sie die männlichen Bemühungen als infantil und Angst gesteuert entlarven. Außerdem weiß Frau ihre Gegenspieler verbal zu entmannen. Am Ende ist die Männlichkeit wieder (ein Stück weit) rehabilitiert und die Gleichberechtigung vor der Kamera gesichert.

…wäre da nicht Veronica Corningstone (Christina Applegate), die sich mit ihren Ambitionen in das männliche Dreamteam drängt.
Die Legende von Mort Crim & Jessica Savitch
Was im Film so einfach und lustig daherkommt, hat natürlich einen ernsten Hintergrund. Die Figuren Ron Burgundy und Veronica Cornigstone basieren auf realen Vorbildern, wenn auch sehr lose. Erst vor wenigen Jahren, im Vorfeld der Premiere der Anchorman-Forsetzung Die Legende kehrt zurück, verriet Will Farrell, dass er sich von den TV-Journalisten Mort Crim und Jessica Savitch inspirieren ließ. Beide trafen in den 1970er-Jahren aufeinander: Crim war bereits eine Nachrichtengröße, Savitch auf dem Weg, eine der ersten Anchorwomen im US-TV zu werden. Wer Bilder von damals sieht, spürt richtig, wie wenig Crim anfangs von seiner neuen Kollegin hielt. Rückblickend bedauerte er, ein chauvinistisches Schwein gewesen zu sein. Er gab seine Vorbehalte auf, die zwei bildeten ein eingespieltes Team und pflegten eine Freundschaft. 1983 kam Jessica Savitch durch einen Autounfall zu Tode, ihr früherer Kollege hielt die Trauerrede.
Wie gesagt: Anchorman orientiert sich sehr, sehr lose an wahren Begebenheiten. Der Film pickt sich die Ausgangslage (und die sonore Stimme Crims) heraus, um zum aberwitzigen Rundumschlag auszuholen. Ob absurdeste Vorurteile gegenüber Frauen („I read somewhere their periods attract bears. Bears can smell the menstruation“), Patriachatdenken („It is anchorman, not anchorlady. And that is a scientific fact“), oder Machogehabe („I would like to extend to you an invitation to the pants party“) – Anchorman zerschlägt das gesamte Spektrum männlicher Hybris – ohne dabei ein feministischer Film sein. Auf einzelne emanzipatorische Schlagthemen (Frauenquote, Vereinbarkeit von Familie und Beruf) nimmt der Film zwar Bezug, er verhandelt sie aber nie aus. Dafür ist Anchorman zu sehr Klamotte.

„Brick, did you throw a trident?“ „Yeah, there were horses, and a man on fire, and I killed a guy with a trident.“ Wettermann Brick Tamland (Steve Carell) macht keine Gefangenen.
Nachrichtensprecher auf (Drei-)Zack
Ähnliches lässt sich über das Verhältnis der medienkritischen Zoten aussagen. Anchorman teilt gegen die Gesetzmäßigkeiten der Nachrichtenbranche gut aus, vorrangig zieht sich der Film jedoch an den anarchischen Scharmützeln zwischen den Figuren hoch. Manches ist subtil, vieles offensichtlich. Die Boulevardisierung des Nachrichtenprogramms etwa. KVWN Channel 4 News bringt nicht eine seriöse Meldung. Dass der Sender mit kindlicher Begeisterung auf Heinz Sielmanns Spuren wandelt, das haben wir bereits feststellen können. Ein anderes Mal soll Veronica Corningstone eine 103-jährigen Frau besuchen, die von sich behauptet, sie bewahre das beste Rezept für Hackbraten auf. Die ehrgeizige Journalistin protestiert, doch der Produktionsleiter bügelt ihren Einwand lapidar ab: „Das ist eine heiße Story.“
Ein kultiger Gag aus Anchorman ist der Quotenkampf der Sender, der kurzerhand in eine Seitengasse verlegt wird: Rivalisierende Nachrichtengangs gehen mit Totschläger und Dreizack aufeinander los. Dabei mahnt Burgundys Erzfeind von den Abendnachrichten noch, dass die Quoten nicht repräsentativ seien. Haushalte mit zwei oder mehr Fernsehgeräten würden schließlich nicht erfasst…

„Über das Geschlecht des Panda-Babys kann ich nur spekulieren.“ Anchorman nimmt die Nicht-Berichterstattung der Nachrichtensender aufs Korn. Zu sehen ist Luke Wilson von Konkurrenz.
Nicht-Berichterstattung in Perfektion
Und auch das überdrehte Finale enthält ein paar feine Spitzen gegen die absurde Nicht-Berichterstattung, wie wir sie von den vielen Liveschaltungen im echten Leben her kennen: Niemand weiß irgendetwas – aber Hauptsache, die Kamera vor Ort läuft und irgendein aus dem Schlaf gerissener Korrespondent spielt Orakel von Delphi. Im Zoo von San Diego tritt das Orakel in Gestalt des einarmigen Luke Wilson auf: Die Pandadame liegt in den Wehen. Über das Geschlecht des Babys kann er nur spekulieren. Entweder wird es ein Junge. Oder ein Mädchen.
Ron Burgundy trägt besonders dick auf unr kündigt die Niederkunft als weltbewegendes Ereignis an. Es hat beinahe etwas Tragik-Komisches. Wen auf der Welt sollte es kümmern, dass der örtliche Zoo in San Diego ab sofort ein zusätzliches (zugegebenermaßen seltenes) Maul zu stopfen hat? Wären da nicht die Bilder aus einem Berliner Zoo, die Anfang 2007 tatsächlich um die ganze Welt gingen. By the way: Hat irgendjemand mal den Mediawert von Eisbär Knut errechnet?

Paradiesische Zustände? Anchorman erzählt von der guten, alten Zeit. Doch in Wirklichkeit war diese Zeit gar nicht so geil. Es kommen immmer bessere.
Ron Burgundy trifft Sandro Zahlemann
Da kann ein Journalistenfilm noch so weit in die Vergangenheit reisen, aktuelle Bezüge lassen sich auch mit der Nostalgiebrille auf der Nase ausmachen. Was natürlich auch daran liegen kann, dass sich die Probleme, die Anforderungen und die Funktionen des Journalismus nicht grundlegend geändert haben. Klar, Medien sind im Wandel, neue Distributionskanäle erfordern neue Marketingstrategien. Die journalistischen Grundprinzipien aber bleiben unverändert. Was damals unethisch war, ist auch heute noch unethisch – und umgekehrt. Das als Beobachtung am Rande. Auch Anchorman greift sich seine Kritikpunkte heraus, ohne jedoch allzu sehr den Zeigefinger zu erheben. Ron Burgundy will schließlich nur eines: spielen.
Wer Anchorman in vollen Zügen genießen möchte, der muss dem Humor der Frat Pack-Clique um Will Farrell und Steve Carrell etwas abgewinnen können. Andernfalls sind die medienreflexiven Späße zu rar gesät, um über die komplette Spielzeit bei Laune zu halten (der erste Drehbuchentwurf sah vor, dass sich das KVWN Channel 4 News-Team nach einem Flugzeugcrash mit einem Haufen Schwerter schwingender Affen herumschlagen sollte…). Wer absurdes Nachrichtenfernsehen in konzentrierter Dosis aufsaugen möchte, der ist mit Olli Dittrichs Sandro-Report zum Staatsbesuch des Monarchen von Bhutan besser bedient. Was beide Figuren so bemerkenswert macht: Sie wirken dermaßen überzeichnet und authentisch zugleich. Die Art und Weise, wie sie Nichtigkeiten als Nachrichten verkaufen wollen, kommt einem seltsam vertraut vor. Ich bin mir ganz sicher: Die Legende von Ron Burgundy – sie lebt weiter.
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